Säsh steht in der ersten Reihe, gröhlt die Songs mit, schüttelt die Haare und grinst über das ganze Gesicht. Er umarmt eine Person nach der anderen, die sich zu ihm in die erste Reihe vorkämpft. Sein Schweiß wird auch dein Schweiß sein – ganz egal! Die Leute freuen sich, wenn sie den blonden Mann mit dem Backenbart sehen, der auf Gigs der eigenen Bands durch seine knallenge Glitzerleggings auffällt – meistens ist sie sein einziges Bühnenoutfit!
Make it sparkle
Wer Säsh begegnet, dem fällt sofort dieses irrwitzige Funkeln in seinen Augen auf. Er ist immer wach, will immer Input, unterhält sich mit jedem und ist dabei immer positiv. Wie schafft man es, nach fast zehn Jahren im Berliner Bookinggeschäft, diese Ausstrahlung zu behalten?
„Das ist wirklich die Lust am Leben. Ich will diese Events genau mit diesen Leuten erleben. Da ich gerne Events auf die Beine stelle, funktioniert so etwas wie die Swamp Conspiracy für mich so gut. Es sind Freunde, mit denen ich gerne Zeit verbringe, mit denen ich gerne etwas machen möchte. Die die gleiche Vision wie ich haben: Aus dem Nichts etwas Geiles zu machen. Das treibt an.“
Die gemeinsame Vision ist bei DIY-Veranstaltungen wichtig. Wer sie nicht versteht oder nicht die gleichen Ziele mit der Show verfolgt, wird am Ende mehr Besucherin oder Besucher als Teil des Orga-Teams sein. Das hat Säsh gelernt, also versucht er mit aller Kraft Projekte anzuschieben, von denen er überzeugt ist. Wenn dann am Ende alles klappt und er seinem Publikum und seinen Freunden neue, coole Bands und Projekte zeigen kann, ist er besonders stolz. Dann kommen die Menschen zu ihm, klopfen ihm auf die Schulter und fragen, woher er die Band denn jetzt schon wieder hätte. Dem ‚Botschafter der guten Musik‘, wie er sich dabei scherzhaft nennt, schmeichelt das schon sehr, gibt er zu.
Nebem dem Funkeln der Augen gibt es aber noch ein anderes offensichtliches Funkeln: Die Glitzerhose. Als Trophäe irgendeiner Ausgabe des mecklenburgischen Electro-Festivals Fusion zieht er sie immer dann an, wenn der Abend verspricht, grandios zu werden:
„Ich würde sagen, ich bin eine potenzierte Version meiner selbst [,wenn ich die Hose trage]. Es fühlt sich an, als würde ich meine Grenzen überschreiten. Das überrascht mich immer wieder.“
Dos and Don’ts auf Konzerten
Da er sich als Booker, Musiker und Musikenthusiast selbst viel auf Konzerten herumtreibt, kann Säsh gut einschätzen, was eine gute Band live mitbringen muss:
„Ich sage mal, The Thunder! Die Musiker brauchen dieses Feuer – und ganz wichtig: die Spielfreude. Sie sollen wissen, was sie machen, auch wenn es nicht geplant ist. Man kann Situationen ja auch absichtlich mal außer Rand und Band laufen lassen, um dann wieder zusammenzufinden. Ich liebe solche unmöglichen Momente, mit denen man einfach nicht rechnet. Ich bin selbst Musiker und frage mich dann, was da gerade geschehen ist. Es gibt so viele spannende Ideen und Herangehensweisen für die eine Sache, auf die ich nie kommen würde.“
Damit die Bands das leisten können, ist es aber auch wichtig, dass sie die Konzertbesucherinnen und -besucher respektvoll verhalten:
„Rücksichtslose Menschen törnen mich ab, die weder auf andere Besucherinnen und Besucher noch auf die Situation im Konzert achten. Es gibt ruhige Momente auf Konzerten, da ist es einfach unhöflich zu labern – das nervt die Band und die Leute drumherum.
Deswegen bin ich so gerne in der Stoner/Psychedelic Rock-Szene unterwegs: Alle sind sehr rücksichtsvoll miteinander! Da ist nur noch das Berlin Swamp Fest friedlicher – und das bei den vielen unterschiedlichen Arten von Menschen, die dort aufeinander treffen.“
Für Säshs Dafürhalten ist die Berliner Szene sehr vital. Es gebe aktuell wieder mehr von allem: mehr Bands, mehr Veranstalter und mehr Läden. Dadurch würde die Szene bunter. Ein paar Hundert Leute seien aktiv, ein paar Tausend eher passiv und kämen nur bei größeren Nummern, wie Kadavar oder Blues Pills, raus. Aber das sei auch in Ordnung, da der Sound dort eingängiger sei. Nach ein paar Jahren der Durststrecke könne sich Berlin endlich wieder über reguläre Locations freuen, die Garanten guter Musik seien. Als er mit Dustown anfing, gab es das nicht. Heute geht Säsh in abgestufter Reihenfolge am liebsten in folgende Läden: Jägerklause, Zukunft/Tiefgrund, Bassy, Urban Spree und Lido. Außerhalb der Wertung läuft für ihn noch das Trickster. Die Klause sei für ihn ein sehr wichtiger Hafen. Die Anfänge liegen im Schlagwerk, der erste Arbeitsplatz war das White Trash, aber die Klause nennt er „mein Wohnzimmer“.
Das Orchester im Kopf
Um Säshs Energie zu verstehen, muss man wissen, dass er sich einfach unendlich viel und gern bewegt:
„Ich bin ein Bewegungsmensch. Für mich ist es spannend, stundenlang in demselben Groove- und Beatuniversum zu schwelgen. Also wirklich zu tanzen. Ich tanze sehr gerne. Ich könnte zu Death Metal Samba tanzen, einfach weil es gerade der richtige Groove ist. Das ist jedem selbst überlassen, finde ich. Aber ja, es ist die Tanzlust, die Bewegungsfreude und vor allem der Rhythmiker in mir, der zu immer gleichbleibenden Beats Neues entdecken und ausprobieren kann.“
Wenn er dann auf einem Rave ist und mit den Händen auf seinen Körper klopft, entstehen in seinem Kopf Ideen für neue Songs oder Grooves:
„Man muss wissen, dass in meinem Kopf immer eine Band mitspielt. Da ist immer ein Orchester bereit. Jederzeit kann es abfeuern, was gerade gebraucht wird. Mein Kopforchester habe ich immer dabei. Ich denke mir Riffs aus, die ich dann am Schlagzeug begleite.“
Deswegen spiele er auch gerne alleine Schlagzeug. Er habe ja seine Band immer im Kopf dabei. Er musste zu seinem Bedauern feststellen, dass das nicht viele Menschen hätten. Ab und zu hat er auch Schlagzeugschülerinnen und -schüler, denen er versucht, dieses Konzept zu eröffnen:
„Auch wenn du alleine bist, bist du nicht allein. Alles, was du dir vorstellen kannst, ist die Musik zu dem Beat, den du gerade spielst.“
Stillstand ist Rückschritt
Jetzt konzentriert sich Säsh also erstmal auf seine eigenen Bands und guckt, was so geht. Eine Kickstarter-Kampagne lief gerade für Operators und Val Sinestra wird dieses Jahr auf dem With Full Force spielen, was so ziemlich der größte Gig in Säshs bisheriger Bandkarriere sein wird. Sowohl Val Sinestra als auch Operators bringen neue Platten raus und touren dieses Jahr fleißig. Ob es neue Bandprojekte gibt? „Ich sag mal: The Victorious Secrets will reign!“, grinst Säsh. Aufgeregt ist er vor eigenen Shows nicht, eher gespannt:
„Aufgeregt im positiven Sinne. Ich kann gar nicht abwarten, dass es endlich losgeht und wenn es vorbei ist, will ich nochmal. Ganz selten habe ich Gigs, bei denen ich körperlich durch bin und gar nicht mehr kann. Mindestens eine Zugabe ist immer drin.“
Die goldenen Momente
Nach den persönlichen Favoriten seiner Veranstalterkarriere gefragt, nennt Säsh seine Top Drei. Das Lieblingskonzert waren Karma to Burn und Android Empire im White Trash im Jahr 2012:
„Es war eine Phase in meinem Leben, in der ich sehr frisch im White Trash war und mich beweisen musste. Der Laden ist aus allen Nähten geplatzt. Die Stimmung war megageil. Die Bands wurden tierisch abgefeiert. Es war eine abgefahrene Situation im alten White-Trash-Keller, wo man direkt vor der Bühne nur für hundert Leute Platz hatte und dann kam der Schlauch. Da hat man auch noch mal 200 bis 300 Leute reingekriegt. Die Energie war an diesem Abend bei 110 Prozent. Ein berauschendes Erlebnis.“
Das Lieblingsfestival war das erste Dustownfest im Bassy mit Siena Root und Flying Eyes im November 2011. Das Bassy war ausverkauft und auch am zweiten Abend konnte Säsh mit Baby Woodrose und Stonehenge überzeugen.
Zuletzt nennt er den Dustown-Gig im Festsaal Kreuzberg 2011 mit Magnificient Brotherhood, Plan 9 und The Feminists. Da hat er es sogar geschafft, den Festsaal mit drei Berliner Bands auszuverkaufen. Der anschließende Rave sei noch bis 8 oder 9 Uhr gegangen. Sie hätten drei Mal ein Einlassstopp verhängen müssen. Eigentlich war es nur ein normaler Dustown-Abend, bei dem der Festsaal aber aus allen Nähten platzte: „Das hat diesen legendären Beigeschmack hinterlassen.“
„Es gab ein paar goldene Momente, bei denen ich selbst gemerkt habe, dass ich meine eigenen Erwartungen vollends übertroffen hatte: Einfach mal mit und für ein paar Freunde Gigs zu organisieren, wird zu so etwas. Das war gar nicht geplant. Es hat sich durch die konstante Arbeit ergeben.“
Wer etwas in Berlin bewegen will, muss sich also selbst bewegen. Und da Säsh die Szene ständig rüttelt, umschmeißt und in Atem hält, bleibt weiter zu beobachten, was er sich wohl als nächstes in seinem Kopforchester ausdenkt, um es dann auf die Beine zu stellen.
Vielen Dank für das tolle Interview!
Dustown Web: https://dustown.wordpress.com/
Dustown Facebook: https://de-de.facebook.com/DUSTOWN/
Titelbild: © Andreas Steckmann