Ein Bilderrätsel: Ein Oldschool-Bandshirt, darüber eine handvernähte Kutte, in einem breiten Ausfallschritt stehend, in der linken Hand des ausgestreckten Arms ein Bier, die Faust der rechten Hand zum Spielen der Luftgitarre angesetzt, die langen Haare wedeln im Takt, während ein breites Grinsen sein Gesicht prägt. Wer ist das?
„Du musst wissen: Das Grunzen macht heiser! Dadurch wird der Gesang natürlich eintöniger. Bei mir möchte ich das vermeiden. Also trinke ich ordentlich Bier und öle meine Stimme!“, lacht Keksgrinder herzlich als wir uns zum Feierabendbier in der Jägerklause treffen. Zum Kampfoutfit des fast vierzigjährigen Frontmanns der Berliner Traditionskapellen Harmony Dies und First Aid gehört die Bierflasche definitiv dazu. „Deswegen heißt ‚Bier‘ bei den Skandinaviern wahrscheinlich auch ‚Öl‘“, lacht er wieder. Das freundliche Wesen prägt das alltägliche Auftreten des Keksgrinders. Nur auf der Bühne wird er zum Tier, das sich mit massiver Stimmgewalt zugunsten der Death-Metal-Band Harmony Dies in die grunzenden Tiefen eines früheren George Fisher begibt. Bei First Aid sorgt er hingegen in Sachen Thrash Metal für erste Hilfe. Seit Kurzem unterstützt er zudem das Ein-Mann-Projekt Exxperior auf einigen Tracks und für Liveauftritte am Gesang.


Die Kekstüte kommt mit zur Probe. Immer.
Die Verbindung zu Cannibal Corpses George Fisher schlug sich auch im Namen nieder. Wie für den Corpsegrinder gehört für den Keksgrinder, der eigentlich Chris mit bürgerlichen Vornamen heißt, die Liebe zum Zermahlen dazu – wortwörtlich. „Ich hatte früher bei Harmony-Dies-Proben immer eine Kekstüte dabei. Einfach so. Ich weiß heute nicht mehr, warum ich das gemacht habe. Erst nannte man mich scherzhaft ‚Corpsegrinder ausm Osten‘ und irgendwann wurde ich zu ‚Keksgrinder‘.“
Bereits in den frühen Neunzigern probierte sich Keksgrinder in Bands aus und übernahm dabei meistens den Gesang. Ein kurzer Ausflug ans Schlagzeug sei nicht so von Erfolg gekrönt gewesen, gibt er zu: „Ich habe mal in einer Black-Metal-Band Schlagzeug gespielt. Die nannte sich Apostasy. Haben sich später in Akrival umbenannt. Ich habe das erste Demo teilweise eingespielt. Teilweise war ich so schlecht, dass sie lieber den Drumcomputer genommen haben.“ Damit waren seine Ambitionen im Black Metal beendet und Keksgrinder wechselte zum Death Metal.
„I don’t wanna break these chains“
Ob er sich noch daran erinnern könne, wie sein Interesse für den Metal entstanden sei, frage ich ihn. „Wenn ich das wüsste. Ich weiß, dass mein erster Kontakt mit härterer Rockmusik über meinen älteren Bruder kam. Allerdings waren das eher Die Toten Hosen, Die Ärzte und so etwas. Irgendwann lief auf FAB – Fernsehen aus Berlin – ‚Poison‘ von Alice Cooper. Ich war hin und weg. Das fand ich richtig geil! Da musste ich auch zum Konzert gehen“, schwärmt Keks. Er stand in der zweiten Reihe, als Alice 1991 in der damaligen Deutschlandhalle das volle Programm ablieferte: Köpfe abbeißen, Blut durch die Gegend spritzen lassen – alles, was dazu gehört. Ein Traum ging für ihn in Erfüllung. Natürlich hat Alice viel bessere Songs als „Poison“, aber selbst heute kann sich der Keksgrinder nicht zurückhalten, wenn sich einer seiner Gäste auf seinen Metal-Partys diesen Song wünscht. Da muss er immer noch mitsingen. Wie damals.
DJ Keksgrinder – RIP?
Sein Musikgeschmack wurde härter, er verfiel dem Death Metal. Eine Zeit lang sammelte er zudem so ziemlich alles an Grindcore-Platten, was ihm auf Underground-Gigs und -Festivals unter die Finger kam. Er baute seine CD-Sammlung aus und wurde irgendwann DJ für Metal-Partys. Keks hat im Laufe der letzten 15 Jahre in diversen Clubs in und um Berlin aufgelegt: K17, Amnesie, Köpi, Hangar49, Jägerklause, Ace Club, Lauschangriff, Slaughterhouse, Red Rooster, Brutz und Brakel, Cassiopeia und im Hof23. Dann noch in Leipzig, Dresden, Cottbus und seit Jahren als Haus-und-Hof-Aftershow-DJ auf dem Protzen Open Air.
Doch letztes Jahr kündigte er das Ende seiner Party-Reihe an. Warum? „Es lohnt sich in Berlin nicht mehr. Es gibt mittlerweile wieder so viele Metal-Partys in Berlin, dass man kein freies Wochenende findet. Außer der Pissing in the Mainstream-Party kann sich keine Party auf einen fixen Termin festlegen. Aus Versehen hat man dann drei Partys am gleichen Tag. Da habe ich keinen Bock drauf. Ich als DJ Keksgrinder existiere aber noch. Man kann mich auch buchen: Partys, Hochzeiten, Weihnachtsfeiern … [Einwurf: „Taufen“] Genau, da spiele ich dann ‚Baptised in blood‘ oder so“, lacht Keks. Also doch noch kein Ende für DJ Keksgrinder. Er lässt nur anderen den Vortritt. Am liebsten legt er Songs auf, die nicht „durchgeleiert“ sind: „Diese Single-Auskopplungen hat man sich irgendwie übergehört. Da kann man auch mal einen anderen geilen Song der Scheibe spielen.“ Später kam noch Thrash und Heavy Metal zu seinen favorisierten Subgenres hinzu. Generell zeigt sich Keksgrinder als DJ aber offen, was andere Geschmäcker angeht. Nur eins würde er niemals auflegen: „Onkelz, Freiwild, jeglichen NSBM. Alles, was in die Richtung geht oder auch nur daran kratzt“, gibt er entschieden an. Auch zu Freunden, mit denen er früher um die Häuser zog, hält er heute lieber Abstand, wenn sie sich in die falsche Richtung entwickelt hätten.
Unterwegs mit den „Alt-Heavys“
„Als ich Teenager war, gab es viele besetzte Häuser, in denen an jedem Wochenende Grindcore-Konzerte stattfanden. Da bin ich mit meiner ganzen Horde hingegangen“, beschreibt der Berliner Keks die älteren Jungs, mit denen er damals rumhing. Er nennt sie „Alt-Heavys“. Die waren zwar damals jünger als er heute, aber für einen 16-Jährigen schon ganz schön alt. Einige von ihnen gibt es heute noch in der Szene, etwa Hanschi oder Bastard: „Ein paar sind genauso geblieben, wie ich sie schon immer kenne. Das ist Hanschi, ein Typ, der alles an Musik hat. Was er nicht kennt, gibt’s nicht. Er ist ein wandelnder Metal-Almanach. Regelmäßig schickt er eine Liste mit sämtlichen Metal-Veranstaltungen in und um Berlin rum. Das ist ein Riesenverteiler. Dann gibt’s noch Bastard. Der trinkt mittlerweile nicht mehr, aber er ist immer noch genauso hammer drauf“, grinst Keksgrinder. Kennengelernt hatte er die „Alt-Heavys“ über einen Schulkumpel. Mit ihm ging er immer mittwochs ins „Surprise“ in Steglitz. Dort lief dann Thrash und Death. Von dort kamen sie wiederum über Kontakte aus der Szene zu einer Death Thrash-Party, die immer samstags in der alten Linse in Friedrichsfelde stattfand. So vergrößerte sich der Kreis der Bekannten. Und wenn man sich gemeinsam traf, um zu den Grindcore-Konzerten zu gehen und Party zu machen, stießen an jeder Station immer mehr dazu. Zu Beginn waren es noch fünf bis sechs Mann. Am Ende schlugen sie zu fünfzehnt oder zwanzigst auf und machten tierisch einen drauf.
Heute ist Keksgrinder da viel entspannter. Für seinen Tagesjob bei FedEx, von dem er schwärmt, muss er zwar jeden Tag um halb fünf Uhr aufstehen. Aber so könne er abends proben, argumentiert er. Er geht auch nicht mehr zu jeder Party, da die Attraktivität der Veranstaltungen für ihn abgenommen habe. Besonders nervig finde er diese „Durststrecken“, in denen keine Konzerte oder Partys laufen, aber dann wieder fünf auf einmal. Daher hat er nur wenige sichere Anlaufpunkte: „Pissing in the Mainstream-Party, auf jeden Fall! Der Tobi macht einen perfekten Job. Er spielt alles. Ich versuche es immer wieder, gehe zu ihm und wünsche mir irgendwas, von dem ich denke, er hätte es nicht – und er hat es! (lacht.) Auch so Exotisches. Letztes Mal habe ich mir einen Dreißigsekünder von Lawnmower Deth gewünscht. Hat er auch gehabt.“ Wenn da mal nicht der Kollegenstolz spricht.
Wo er sich heimisch fühlt
Als Berliner fühlt er sich hier gut aufgehoben. Wenn er könnte, würde er gerne mal nach Irland reisen. Die Geschichte und Kultur faszinieren ihn. Er hat übrigens auch einen Flogging-Molly-Patch auf seiner Kutte. Aber bislang ist er Berlin treu geblieben. Hier besucht er heute gern das Brutz und Brakel oder die Jägerklause. Natürlich hat er in beiden auch schon aufgelegt. Als Konzertstätte mag er das Huxleys, denn damit verbindet er sein erstes Death-Metal-Konzert: Napalm Death, Obituary und Dismember auf der „Campaign for musical destruction“-Tour 1992. Von den kleineren Locations mag er das Cassiopeia: „Obwohl es da nur kleine Biere gibt. Da kann man ja gleich an der Bar stehen bleiben“, lacht er verschmitzt. Zudem will er eine Lanze für das Slaughterhouse brechen: „Viele tun es ab, weil der Sound da scheiße sei. Ich fand den aber ziemlich gut bei unserer Record-Release-Party. Das hat alles der Haustechniker gemacht. Mir wurde erzählt, dass sie seit einem Jahr eine neue Anlage in dem Raum haben. Viele gehen aber aus Prinzip nicht hin. Diese Voreingenommenheit finde ich schon ziemlich nervig. Und da gibt es große Biere.“ Na dann.
Wenn er nicht selbst zur Rampensau wird, feiert Keksgrinder befreundete Bands gerne live ab: „Ich finde Reactory sehr geil. Die ballern gut. Space Chaser würde ich noch nennen. Die werden auch überall hochgelobt. Ich fand Orth früher außerdem sehr geil. Die haben angeblich vor Kurzem ein Album aufgenommen, aber wohl noch nicht veröffentlicht. Bloodbeat finde ich auch gut. Die machen Death Metal im Stile der frühen Neunziger“, resümiert er seine Favoriten aus dem Berliner Raum.
Die pseudoböse Szene
Ja, es gibt sie noch, die Berliner Szene, findet Keks. Das könne man ja schon an den vielen Metal-Partys sehen. Aber das sei vielleicht auch das Problem an Berlin: „Meiner Meinung nach ist die Metal-Szene ziemlich groß. Vielleicht auch zu groß. So splittet sie sich wieder auf. Die-Hard-Black-Metaller wollen nichts mit Hair-Metallern zu tun haben. Mir ist sowas relativ egal. Ich bin offen, was das angeht. Ich kann mit dem meisten Black Metal nichts anfangen, aber deswegen sage ich noch lange nicht, dass alles scheiße ist. (lacht.) Gibt ja ein paar Black-Metal-Bands, die ich selbst gut finde. In letzter Zeit kriegt man dieses Pseudo-Böse mit. Das ist totaler Schwachsinn. Man muss sich ja nur die Helden dieser Black-Metaller angucken, Immortal oder so. Abbath und sein Crab Walk sind doch albern. Wobei man mit ihm super ein Bier trinken kann. Genauso Satyricon. Dieses Konzert, bei dem Satyricon mit dem norwegischen Orchester spielte, war ein großartiges Ding. Aber mit Black Metal und dem Bösesein hat das nichts zu tun.“ So sind ihm diese Szene-Klischees relativ egal, obwohl er selbst ein Paradebeispiel für den klassischen Metaller ist, mit seinen drei handvernähten Kutten.
Wenn er sein Konzept für jede einzelne erklärt, merkt man, wie stolz er auf diese Kleidungsstücke ist: „Es gibt die Gemischte, wo auch die Beatles, Dropkick Murphys und so drauf sind, die Grüne, auf der jeder Patch etwas Grünes beinhaltet und die ‚California Cock n Cunt Connection‘-Kutte, die nur zu besonderen Anlässen herausgeholt wird.“ Das geschieht etwa einmal im Jahr, wenn er sich mit seinen Freunden und Bekannten zum gemeinsamen Bowling und Partymachen trifft. Also doch noch ein bisschen so wie früher mit den „Alt-Heavys“.
DJ Keksgrinder: https://www.facebook.com/DjKeksgrinder/
Harmony Dies Facebook: https://www.facebook.com/harmonydies/
First Aid Facebook: https://www.facebook.com/FirstAidMetal/
Danke für das tolle Interview!
Titelbild: © Christian Schlieker
Ein sehr gutes, erfrischendes Interview, das Lesen hat Spaß gemacht.
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