Aufwachsen
Groß geworden ist Daniel in Sachsen-Anhalt im Drehkreuz von Magdeburg, Berlin und Leipzig. In einer Kleinstadt mit circa 30.000 Einwohnern, Tendenz fallend, wie überall im Osten Deutschlands: Schönebeck an der Elbe.
Daniels Vater stand bereits seit den Achtzigern auf Metal und Hard Rock. Mit sechs oder sieben Jahren, erinnert Daniel sich, bekam er dann seine erste Accept-Platte: „Restless and wild“. „Mit Accept hat es angefangen, die höre ich immer noch. Ich bin auch sehr traurig, dass mein Bild Arm in Arm mit Udo Dirkschneider abhanden gekommen ist. Als Kind habe ich den Metal-Kram mit meinem Vater gehört.“
Die Lyrics haben ihn an der Musik immer besonders interessiert. Damals sang er noch mit seinem Kamikaze-Englisch mit und übersetzte, was er meinte zu verstehen. Kurz vor der Wende sei er dann auch regelmäßig zum CD-Verleih gefahren und habe zu Hause tonnenweise Musik überspielt.
In der Pubertät kam der Punk in sein Leben. Gerade Deutschpunk fand er noch geiler als Metal oder US-Punk. Die deutschen Texte der Punks waren subversiver, rauer. „Ich stand schon immer auf das, was andere doof fanden. Eigentlich eine total peinliche kindische Antihaltung. Mein Vater fand es dann auch nicht so geil, dass ich auf einmal diesen Schrammelkram hörte“, erinnert sich Daniel schmunzelnd.
Seine Jugendhelden waren Toxoplasma aus Neuwied oder Upright Citizens aus Düsseldorf. Später kommt Hardcore und Crust, wie Ripcord und Extreme Noise Terror, dazu. Passend dazu wuchsen auch die ersten Dreadlocks auf Daniels Kopf.
Unerwartet kommt Daniel doch wieder zum Metal zurück und steht noch voller Teenagerelan „mit meinen Wursthaaren und stinkenden Klamotten als einziger Punker“ auf Metal-Shows. Das kannte er von früher, hatte es aber verdrängt: „Metal durfte man quasi nicht hören, weil es so Prollmusik war! Vor 15 Jahren bin ich noch schön angeeckt in besetzten Häusern: ‚Daniel, du mit deinem Metalkram! Das sind doch alles Sexisten!‘ Da musste ich dann irgendwann lachen, als es auf einmal in war und alle mit Black-Sabbath-Shirts rumliefen und 180 € für eine Karte bezahlten! Während ich mir dachte, ihr habt doch alle einen Knall!“
Die Szene in Schönebeck an der Elbe sei für eine Kleinstadt verhältnismäßig groß und bunt gemischt gewesen, findet Daniel. Alle hingen miteinander rum, die keine Lust auf eine rechte Hegemonie hatten: Punks, Metalheads, Rastafaris oder nicht-rechte Skinheads. Eines der ersten Festivals, das er in seiner Sachsen-anhaltinischen Heimat organisierte, war das Kulturschock. Den Namen hätten sie vom gleichnamigen Berliner Festival geklaut, gibt Daniel zu. „Wir dachten, in der Provinz kriegt das eh keiner mit!“ Daniel übernahm die Punk- und Metal- Schienen in der Konzertorganisation, die anderen kümmerten sich um Impro-Theater und Feuershows. Unterstützung kam aus einem der örtlichen Jugendclubs und speziell ihrer Streetworkerin Trixi, die leider vor kurzem viel zu früh aus dem Leben schied,.
Im alternativen Alltag gab es zudem Unterstützung von ein paar Alt-Rockern, die in der Gegend eine Kneipe namens Barfly hatten, in der Daniel und seine Kumpels täglich abhingen und Shows machen konnten.
Anfangen
Wir haben über das Veranstalten und Organisieren gesprochen. Schauen wir uns nun die Leben des Sängers, Labelmachers und Tourfahrers Daniel an:
In Schönebeck war er von 2003 bis 2004 einer der beiden Sänger in der Crust-Band Room101. Davor gab es nur Proberaum-Projekte, in dem Jugendzentrum, in dem er mit Kumpels abhing. „Später hatten wir auch eine HC-Punk-Band, eine reine Liveband, da wohnte ich aber schon in Berlin: Suicide Bombers. Eigentlich wollten wir nur provozieren, Bier trinken und Leute bepöbeln. Das ging zwar nur ein Jahr, dafür war es ein sehr intensives Jahr!“
Seit 2005 lebte Daniel in Berlin und landete hier in einer D-Beat-Band: Verdunkeln!.
Nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Dark-Metal-Combo. Diese existierte zeitgleich mit den Suicide Bombers.
Anschließend kam die Band, mit der längsten Lebenszeit, Post-War Perdition. Eine politische Death-Metal-Band mit Leuten von Altare und (späteren) Cyness, die insgesamt fünf Jahre lang existierte und mehrmals auf Europa-Tour ging. Post-War Perdition veröffentlichten ein Album, das eher mäßig lief, wohl auch weil es irgendwie immer wieder zu Labelschwierigkeiten kam und das Cover einfach unpassend erschien.
„Es lief eigentlich relativ gut, aber wir kamen nie irgendwo an. Für die Metaller waren wir die Zecken, für die alternative ‚Linken‘ waren wir die Metaller. Es war immer ein Graus, alles unter einen Hut zu kriegen. Die Punker haben uns immer kritisch beäugt. Die hatten wohl Angst, dass jetzt Manowar durch die Tür gebikt kommen, um mit sexistischen Sprüchen zu kokettieren oder was weiß ich was.
Das wir dann aber seit Jahren in Projekten involviert waren und gar nicht dem Klischee entsprachen, überraschte sie dann jedes Mal. Bei den Metallern hieß es immer, ja, wir seien zwar ganz gut. Aber irgendwie seien wir doch bloß irgendwelche Punker, mit denen sie nichts zu tun haben wollten.“
„Zwischendurch existierte noch PIxGS für ein Jahr und war auf jeden Fall meine beste Band, in der ich je war. Das war geiler Südstaaten-HC-Sludge. Mehr als eine längere und zwei kürzere Touren, ein paar Einzelshows sowie zwei Demosongs auf Bandcamp plus hier und da ein paar offene Münder haben wir leider nicht zurückgelassen.“
Seit 2015 gibt es nun Hatehug, die auch wieder Hardcore-Punk machen, wie er vor ein paar Jahren in USA typisch war. Rückblickend betrachtet fasst Daniel zusammen, dass er durch die Bands zwar viel rumgekommen sei, sich aber seine Bands schrägerweise häufig selbst in der Organisation der Shows eingespannt sahen. Oft gab es in kleineren Städten und Dörfern selbstverwaltete Räume, bei denen der Ablauf so chaotisch war, dass sie ihre eigenen Konzerte schlussendlich mitorganisieren mussten, weil es sonst nichts geworden wäre. Selbstmachen war und ist die Devise.
Zwischen 2003 und 2008 sowie Schönebeck und Berlin unterhielt Daniel ebenfalls ein eigenes Label: Suburban Hardcore Records. Dort hat er vorrangig Eigenes und Material befreundeter Bands veröffentlicht. Insgesamt gab es nach seiner Erinnerung ungefähr 7 Veröffentlichungen: Vinyl-Platten, Singles 10‘‘ und LPs. Während sich die Veröffentlichungen eigentlich alle im Punk-Genre verorten ließen, hatte der dazugehörige Mailorder auch Metal und Rock’n’Roll im Angebot.
Auch als unregelmäßiger Tourfahrer war er über zehn Jahre unterwegs. Meistens fuhr er dann befreundete Bands, wie die Spandauer Punks von MxVxD oder die Metalpunker von Reactory. Ab und an fuhr er auch für entsprechende Gegenleistungen, aber da diese Erfahrungen häufig ins Absurde und Negative abdriftete, hängte er das Tourfahren 2016 wieder an den Nagel.
Abschalten
Heute ist Daniel mit sich selbst im Reinen. Er erholt sich gern in der Natur, besucht aber gleichzeitig immer noch Konzerte und Partys. Nur raucht und trinkt er dabei nicht mehr. Mit dem Booking stresst er sich auch nicht mehr und freut sich über jeden, der mit neuem Enthusiasmus in die Veranstalterszene kommt:
„Ich bin ich froh, dass ich es ein bisschen auslaufen lassen kann. Einfach mal auf eine Party gehen und einfach nur angucken und sich berieseln lassen. Dass ich nur noch die Sachen mache, auf die ich Bock habe. Dass ich die Früchte einer Arbeit ernte. Dass ich die Genugtuung erfahren kann, dass der Raum, in den ich so viel Arbeit gesteckt habe, so gut genutzt wird. Wenn ich höre, dass der Kastanienkeller im Bereich Untergrundkonzerte als einer der geilsten Läden gilt, scheint wohl was richtig zu laufen, oder?
In dieser Hinsicht hat es sich auf jeden Fall gelohnt, auch wenn ich mir davon nichts kaufen kann oder viele Gäste auch einfach nicht wissen, dass da so alles im Background abläuft.
Aber das war schon immer so: Was vor und nach einer Party passiert, interessiert niemanden. Mit einem Buchhalter oder der Putzfrau abzuhängen, ist halt nicht so spannend. Man will lieber den Tourmanager oder Veranstalter von xy kennen. Aber mir ist das wurscht. Dieses Sehen-und-gesehen-Werden bringt mir und den anderen im Dunkeln agierenden Akteurinnen und Akteuren nichts.“
Ein bisschen kitzelt es ihn heute noch, andere Formate auszuprobieren. Zuletzt wollte er eine Synth-Wave-Partyreihe machen, was aber im Kastanienkeller schwer umsetzbar ist. Immerhin wohnen über dem Keller Menschen mit Familien, Berufen und dem Wunsch nach Nachtschlaf. Dann muss das Hausplenum jedes Mal zustimmen, wenn eine Party bis morgens gehen soll. Konzerte werden im Kastanienkeller generell nur freitags und samstags angeboten.
Was gefällt ihm dann noch an Berlin, wenn er doch schon so viel rumgekommen ist, eine Weile in Leipzig studierte und sich jede andere Stadt zum Leben hätte aussuchen können. Tatsächlich findet Daniel, dass in Berlin vieles entspannter sei. Auch wenn ihm andere Menschen das Gegenteil sagten. Nur diese unterschwellige bis offene Toleranz gegenüber rechten Bands, die nerve ihn zusehends. Gerade bei Metalshows gebe es eigentlich permanente Diskussionen. Da könnten die Leute dann doch wieder etwas weniger entspannt sein und sich auch mal dem Konflikt stellen.
Auch dass viele Leute aus der Szene mittlerweile in die Clubszene abgerutscht seien und nur noch auf Partys gehen wollten, nervt ihn manchmal.
Es sei verständlich, wenn man keinen Bock mehr habe, sich das tausendste Kreator-Konzert oder irgendeine tschechische Grindcore-Band in der Köpi zu geben. Aber es gebe ja auch unzähligen andere Möglichkeiten seine Freizeit zu gestalten oder sich einzubringen. „Auch wenn ich generell nicht gegen Exzesse bin. Aber alles lässt sich vom Berghain aufsaugen. Und das ist doch auch nur arm.“
Und wenn es mal nicht ums Muckemachen und Veranstalten geht? Gibt es Projekte, die noch im Geheimen schlummern? Daniel zögert: „Ich habe öfter mal versucht, ein Buch zu schreiben. Viele Leute verlangen das auch schon seit langer Zeit von mir. Meine Erfahrungen aus der Region Magdeburg sind da natürlich am interessantesten. Das habe ich dann zwar versucht, aber ich komme nicht voran. Ich frage mich in diesen Momenten, wer denn diese verrückten Sauf-Assi-Geschichten aus dem Osten lesen will. Dann kannst du auch „Barfly“ gucken oder einen Charles Bukowski lesen. Da brauche ich nicht einen auf Charlotte Roche machen und mich künstlich als krasse Person inszenieren. Aber ich versuche es trotzdem immer mal wieder.“
Anderssein?
Daniel zögert etwas, als ich ihn frage, ob er jemals ein „Stinoleben“ geführt hätte oder immer Teil einer Sache, eines Kollektivs gewesen sei. Seinen inneren Antrieb, gesellschaftlichen Zustände zu hinterfragen und aktiv mitzugestalten, scheint er nie auch nur im Ansatz infrage gestellt zu haben Etwa: Wofür er das macht oder ob es sich überhaupt lohnt, dass er sich da so ins Zeug legt?
Natürlich habe er gesehen, dass nicht jede politische „Haudrauf“-Aktion auch etwas gebracht hätte. Dennoch hätte er deswegen nie seine Einstellung aufgegeben – ob es um Veganismus oder Antifaschismus geht.
Eigentlich hatte er nie vorgehabt, in ein Kollektiv zu ziehen und sich in Plena abzustimmen und das alles. Eigentlich sei er sogar ein ziemlich Einzelgänger, der nicht so gut mit anderen klarkommt, wie er selbst sagt. Egoismus würde ihn abstoßen. Aber da er eben über Freundinnen und Freunde in den Kastanienkeller und die WG kam, wollte er dann eben doch mitmachen und blieb bis jetzt.
„Aber ein, was du als Stinoleben bezeichnet hast, habe ich noch nie geführt. Ich frage mich heute jedoch immer öfter, wie andere Leute das so können. Weil ich eine radikalere Sicht auf das Leben habe, als ich es als 14- oder 15-jähriges No-future-Punk-Kid hatte. Eigentlich hat sich mein Weltbild noch viel mehr gefestigt. Ich möchte mein Leben so ungenervt wie möglich erfahren, ohne Einschränkungen, die mir eventuell aufgezwungen werden.“
Zum Schluss gibt mir Daniel noch seine Empfehlungen für Berlin: Lieblingsclub oder -kneipe in Berlin?
Daniel: „Subkulturell würde ich die K19 nennen. Da gehe ich auch ab und zu zum Pizzaessen hin. Oh, obwohl, da sind eh immer schon so viele Leute am Start (lacht.) Vergesst das wieder!
Den Trickster finde ich immer noch gut. Es ist ein bisschen unter dem Radar und bietet kleineren Bands eine Möglichkeit. Viel Punk und Indie.
Blöderweise würde ich auch unseren eigenen Laden nennen. Das finde ich komisch, aber es ist so, dass ich hier viele Bands und Partys habe, die ich gut finde. Klar, wir machen die Veranstaltungen ja auch.
Der Schokoladen ist gut, vor allem seit sie ihre neue Lüftung haben und mir nicht mehr nach 10 Minuten die Birne platzt von all dem Rauch. Man kann eigentlich immer hingehen und es gibt so viel Unterschiedliches. Die Mischung aus Touris und Leuten von uns passiert da reibungslos. Das finde ich super.
Als Kneipe hätte ich wohl das alte BAIZ genannt. Leider ist es jetzt ein bisschen zu groß, aber immer noch empfehlenswert. Dass sie nach diesem Rausschmiss und mit der Ansage „Wir bleiben im Prenzlauer Berg!“ es so durchgezogen und geschafft haben.
Die Z-Bar ist in der Parallelstraße vom Schokoladen, die finde ich auch sehr nett. Da gibt es oft coole Horrorfilmkinoabende.“
Lieblingskünstler aus Berlin?
Daniel: „Ich finde den Louis Fleischauer sehr gut. Er nennt seine Kunst Body Art Rituals, macht viel Suspension-Sachen vermischt mit apokalyptischen Themen und teilweise sogar Spirituelles. Gerade ist er wohl auf einem Schamanentrip. Nebenbei stellt er auch extravagante Kleidung her. Ich kann nur allen sein Buch ‚Flesh Art‘ empfehlen. Es ist aber nicht Jedermanns Sache: viel Blut, viele Haken in Körper und solche Geschichten.“
Lieblingsbands aus Berlin?
Daniel: „Eindeutig MxVxD, also Mundus Vult Decipi, eine Ballerpunkband aus Spandau. Sie haben nach 32 Jahren in diesem Jahr, wie soll es anders sein, bei uns im Kastanienkeller einen grandiosen Abschied gefeiert. Danke Leute, damit ist Punk nun wirklich tot!
Die Platten höre ich heute nicht mehr regelmäßig, aber es ist einfach so eine Jugendnummer. Das haben wir immer im Proberaum gehört und das waren meine Helden aus der ‚näheren‘ Umgebung. Diese alten Männer waren immer noch fitter als jeder Jungpunker! Das hat mich beeindruckt. Auch dass sie schon fast so lange Musik machten, wie ich auf der Welt bin, fand ich cool!
Aktuell sind es Cold Leather, eine rockigere Punkband. Die haben mich gleich bei ihrem ersten Gig weggehauen. Ich war ganz überrascht, dass es mal eine gute Band aus Berlin gibt. Da habe ich gleich die ersten drei Shows mitgenommen. Es ist nicht so megaspektulär, aber alles, was zu tun ist, machen sie einfach 110-prozentig. Dabei sind sie zusätzlich extrem lässig.“
Bleibt Daniel zu wünschen, dass er weiterhin so offen und neugierig auf das Leben bleibt und viele weitere spannende Dinge ausprobiert. Ein Händchen für gute Qualität und authentische, fiese Untergrund-Musik hat er jedenfalls.
Auch dem Kastanienkeller, dieser Untergrundperle inmitten des Prenzlauer Bergs, bleibt es nur weiterhin so engagierte Helferinnen und Helfer sowie Konzertliebhaberinnen und Konzertliebhaber wie Daniel zu wünschen, die den Spirit weitertragen. Und die sich engagieren, damit die Berliner Szene nicht untergeht.
Hatehug: https://hatehug.bandcamp.com/
Titelbild: ©Elias Schmuse