Hanschi – Last Shows Before Doomsday

Niemand hat so viele Liveshows gesehen wie er: Hanschi besucht im Schnitt 90 Konzerte pro Jahr – und das seit 30 Jahren. Das macht ihn zum Experten des lokalen Metal-Untergrunds. Seine PDF-Liste mit Konzerttipps ist eine heilige Schrift in der Berliner Szene.

„Schick mal die Liste“

Hanschi ist ein bodenständiger aufgeschlossener Typ, der sich nicht in den Vordergrund spielt. Zwar ist er auf den meisten Metal-Shows in Berlin zugegen, steht aber auch gern entspannt mit seinen Kumpels und einem Bier in der Hand im hinteren Bereich des Konzertraums und erfreut sich an der Action auf der Bühne. Man erkennt den Anfangfünfziger am klassisch schlichten Look: Schwarze Hose, Bandshirt, Lederjacke, schwarzes Cappi und ein Dreitagebart. Wer ihn genauer beobachtet, merkt, dass Hanschi beim Laufen etwas das linke Bein nachzieht. Er hat seit Anfang der Neunziger Jahre nur noch ein Bein und nutzt für das linke eine Prothese. Seine E-Mail-Adresse wählte er daher auch ganz selbstironisch: onlegarmy(at)web.de

Hanschi in der Baume

Hanschi in der Baume| ©privat

Über diese Mail-Adresse schickt Hanschi einmal im Monat eine PDF-Liste mit allen spannenden Untergrund-Konzerten an interessierte Berlinerinnen und Berliner. Und die schicken sie weiter. 200 Menschen hat Hanschi nach eigenen Angaben im Verteiler. Die verteilen die Liste an ihren Freundeskreis: Ich kriege meine Hanschi-Liste zum Beispiel von Baschtl, der sie an circa 10 Leute weitergibt. Die Dunkelziffer der dankbaren Nutznießer von Hanschis ausgewiesenem Untergrundwissen und seiner Freude an Listen dürfte also um einiges höherliegen. Seit 1999 macht Hanschi diese mehrseitige Liste, die immer überschrieben ist mit der gleichen Losung: „Last Concerts before Doomsday“. Damit will er die Leute motivieren, ihren Hintern hochzukriegen und Bands zu supporten: Die Welt könnte schließlich jeden Tag untergehen.

Konzertliste Hanschi

Ausschnitt Konzertliste | ©privat

„Immer in Bewegung bleiben“

„Wat willstn zu Hause rumsitzen?“ fragt Hanschi, als wir uns (vor viel zu langer Zeit) auf ein Bier im Feuermelder treffen, um über seine Beziehung zur Szene zu sprechen. Der gebürtige Köpenicker hat die meiste Zeit seines Lebens „in der Baume“ gewohnt und dort ein wahres Plattenlager aufgebaut. „Mittlerweile habe ich über 8300 Platten“, gibt Hanschi Auskunft. Davon träumt so mancher Distrobetreiber wahrscheinlich. Ich frage, ob er nicht Angst hätte, dass ihm der Boden seiner Wohnung absackt. Aber er antwortet ganz vergnügt: „Ich wohne im Erdgeschoss, unter mir ist nur noch der Keller. Da habe ich mich rechtzeitig abgesichert! (lacht.) Ich bin eben eher ein Vinylsammler. An CDs habe ich nur so 3000 Stück. Das ist mir nicht ganz so wichtig.“ Wenn Hanschi auf Konzerte geht, nimmt er Merch mit: Lieber Platten als CDs, lieber Shirts als gar nichts. So will er die Bands unterstützen.

Seine Sammelleidenschaft begann schon in der DDR. Damals schnitt er auf Tonband mit, was Radio-Sendungen wie die Monday Rock Show mit John Bennett auf BFBS oder die HM Show mit Tony Jasper spielten. Mehrere Hundert Kassetten hätte er sich so bespielt und ohne große Englischkenntnisse selbst beschriftet: „Iron Maiden wurde ‚Iran Maiden‘ und so ne Späße.“ Was er nicht im Radio zu hören bekam, kaufte er als Original-Demo-Tapes: Sadus, Death oder Bolt Thrower.

Hanschis Kassettensammlung

Hanschis Kassettensammlung | ©privat

Seine musikalischen Wurzeln liegen dementsprechend im klassischen Hard Rock und Heavy Metal – bei AC/DC, Black Sabbath, Motörhead und Bands des New Wave of British Heavy Metal, etwa Tygers of Pan Tang, Samson und Angel Witch.

Wenn er als junger Mensch in der DDR wissen wollte, wo das nächste Konzert stattfinden würde, hörte er unter anderem DT64, das Jugendradio mit der Sendung „Tendenz Hard bis Heavy“. Wie konnten dort aber teilweise illegale Konzerte angekündigt werden? Hanschi: „[Matthias] Hopke [der Moderator] hat in seiner Radiosendung enigmamäßig durchgegeben, wo man hinfahren sollte. Ein Wink war, dass die größte Band genannt wurde und man wusste, wo die herkamen. Also ist man in diese Stadt gefahren und dort hat man weitere Infos mehr oder weniger illegal bekommen. Ich denke an Bands, wie Darkland, Rochus, Biest oder MCB. Meistens kam die Show aber erst um 18 Uhr, da war ich dann schon unterwegs.“

Hanschis Plakatsammlung

Hanschis Plakatsammlung – Ausschnitt | ©privat

Als die Wende kam, kaufte er alles nach, was er bis dahin über das Tape-Trading oder das Radio bekam. Black Metal faszinierte ihn zum Anfang der Neunziger besonders: Cradle of Filth, Gorgoroth und Konsorten. Auch Motörhead gehört zu seiner langjährigen Leidenschaft: Hanschi sah das Trio um Lemmy Kilmister jedes Mal live, wenn sie in der deutschen Hauptstadt waren (auch in anderen Städten, etwa Suhl, Leipzig oder Magdeburg), und besitzt auch alles, was sie auf Platte herausbrachten. Er schätzt sich glücklich, bei Lemmys letztem Liveauftritt dabei gewesen zu sein.

Zwei Konzerte pro Abend

2800 Konzerte hat Hanschi mittlerweile auf der Uhr – darüber führt er natürlich eine Liste. Niemand könnte sich alle merken! Er hat auch kein Problem, mal allein auf ein Konzert zu gehen, da er eh meistens jemanden trifft, den er kennt. „Ein perfekter Tag ist, wenn ich zwei Konzerte an einem Abend schaffe. Das mag ich am liebsten: Da kann ich einfach mit den Leuten fachsimpeln, die Musik genießen und habe meinen Spaß.“

Das ist auch machbar, da zum Beispiel die meisten Köpi-Konzerte eh erst weit nach 22 Uhr beginnen. Und dann kann er einfach mit dem Nachtbus nach Hause bis zu seiner Wohnungstür fahren. Die Köpi besucht Hanschi bereits seit 1993 und schwärmt im Gespräch, dass der Schuppen immer noch so räudig sei wie damals.

In den frühen Neunzigern half Hanschi im Ladengeschäft des Untergrundlabels „Folter Records“ aus. Als ehemaliger DDR-Bürger nutzte er so die Chance, all die Musik nachzuholen, an die er in seiner Jugend so nicht ohne Weiteres gekommen wäre: „Wir alten Recken mögen ganz gern Schwedentod, Bands wie Carnage oder Entombed. Mitte der Neunziger war aber auch einfach eine gute Zeit für Death und Black Metal.“

Folter Records Festival 1995

Folter Records Festival 1995 | © privat

Das Plattenlabel „Folter Records“ existierte zu Anfang in der Wörther Straße, im Wohnzimmer seines Kumpels Jörg. Später zog das Label in ein eigenes Ladengeschäft in der Kollwitzstraße und blieb dort bis 2001. Hanschi selbst half bis 1999 aus und organisierte auch das erste Folter-Records-Festival mit. Im mecklenburgischen Brohm spielten 1995 Bands, wie Dimmu Borgir, Mayhemic Truth, Enthroned, In the Woods, Desaster und Dark Funeral. Hanschi schaut zurück und freut sich: Das war schon klasse! Dimmu Borgir spielten dort ihren ersten Gig. Man konnte die Bands noch bezahlen. Die Leute kamen aus aller Welt. Da musste ich mich auf Englisch verständigen, was für einen ehemaligen DDR-Bürger gar nicht so selbstverständlich war.“

Die Band mit den meisten Konzertbesuchen

Die Neunziger waren Hanschis Goldgräberjahre – er sammelte ohne Unterlass Musik, nahm diverse Festivals und Konzerte im Ausland mit und genoss es, sich austoben zu können. Heute ist er, zumindest was Outdoorfestivals und Vinylscheiben angeht, etwas gediegener, beschränkt sich auf das Keep it true-Festival und die wenigen Perlen unter den Platten, die er unbedingt noch in seiner Sammlung haben muss. Nach seiner Einschätzung wird ihm in Berlin livetechnisch aber auch genug geboten und er könnte jeden Tag zum Konzert gehen, wenn er wollte. Oder zu fünf. Was er auch schon mal gemacht hat.

Gibt es eine Band, die Hanschi noch häufiger in seinem Leben gesehen hat als Motörhead? Gibt es. Sie heißen Necromorph, mit Jockel am Bass, kommen ebenfalls aus Berlin und spielen schnellen Grindcore mit schwedischen Einflüssen. Hanschi: „Mittlerweile habe ich sie 40 Mal gesehen. Damit sind sie sogar vor Motörhead mit 28 Mal. Auch nicht schlecht! (lacht.)

Große Acts, die das Olympiastadion füllen, schaut sich der Ur-Köpenicker mit der Liebe für Excel-Listen nicht so gern an. Als Veranstaltungsorte sind das Huxley’s oder die Max-Schmeling-Halle die größten ihrer Art, die er noch anpeilt.

Fan durch und durch

Hanschi hat in der Vergangenheit auch für das eine oder andere Fanzine geschrieben: Für das alte Ablaze von Peter Schramm, dem Gründer von Insolit Records (Black Metal) oder für das Yellow Dog, dem Magazin des gleichnamigen Punk-Labels. „Ich bin eben ein Fan. Ein Label oder eine Band [zu gründen], da hätte ich keine Lust drauf. Ich will auch frei sein. Leute, die sich da reinhängen, die sieht man kaum, weil sie natürlich viel üben müssen und auch Gigs außerhalb Berlins spielen. Die haben meinen vollen Respekt! Aber ich habe auch so meinen Spaß! Kriege von der Arbeit jeden Monat mein Gehalt und kann den Leuten helfen, wenn sie mich brauchen“, begründet Hanschi, warum er selbst nie den Wunsch hatte, ein eigenes Fanzine oder etwas ähnliches zu gründen.

Ich frage Hanschi, ob er in seinem Leben viel geschlafen hätte. Es wirkt schließlich so, als hätte er entweder Musik gesammelt – ob vom Radio aufgenommen oder als Schallplatte gejagt – oder sie auf Konzerten belauscht. Hanschi schmunzelt und sagt, er halte schlafen für ein Gerücht. Getreu Motörheads Losung „No Sleep at all“ ist auch der Mann mit den Listen immer auf Achse, will Neues entdecken und Altes feiern.

Der Lauf der Dinge

Als ausgewiesenen Berliner Live-Experten frage ich ihn danach, wie er das Clubsterben in Berlin bewertet. Er zuckt mit den Achseln und sagt, dass es natürlich traurig sei, dass gewisse Clubs schließen mussten, z. B. das alte Knaack. Aber das sei der Lauf der Dinge, den man nicht ändern könne.

„Das Clubsterben ist nicht mehr geworden, es hält sich die Waage. Auch heute kann ich nicht sagen, dass es weniger Clubs geworden sind. Im Vergleich zu den Neunzigern sind es eher mehr Clubs geworden. Da gab es Metropol, Surprise, LSD, Trash, Ecstasy, Huxley’s Jr., die Werner-Seelenbinder-Halle, die Deutschlandhalle oder die Eissporthalle. Sowas gibt es heute alles nicht mehr. Aber wenn ich es hochrechne, gibt es heute mehr kleine Clubs als früher: Cassiopeia, Musik und Frieden, Lido oder Bi Nuu. Ich fühle mich da zwar nicht so richtig zu Hause, gehe aber trotzdem hin. […] Naja, ist halt so. Egal wie, die Leute sind immer wieder innovativ, denken sich was Neues aus und ziehen was hoch. Dit is Berlin!“

Hanschi

Hanschi | ©privat

Deswegen reagiert Hanschi auch ganz allergisch auf Standardaussagen, etwa, dass die Berliner Szene tot sei. „Son Quatsch!“, stößt er hervor. Man müsse halt auf Konzerte gehen, so mache er das schließlich auch und hat dabei seinen Spaß: „Wenn ich mal vor der Bühne umfalle, sollen sie mich einfach rausfegen und gut ist. So ne Beerdigung macht eh keinen Spaß!“

Die Szene im Wandel

Durch Hanschis Erzählungen spürt man die Leidenschaft für eine Szene, die stets im Wandel ist. Das scheint er nicht nur positiv anzunehmen, sondern sogar etwas zu begrüßen. Schließlich trägt es seinem Bewegungsdrang zu, der ihn immer wieder aus dem bequemen Zuhause treibt. „Das ist eine endlose Welle. Die Szene geht einfach immer weiter. Das ist das Alpha und das Omega. Ich kann nicht sagen, ob es früher oder heute besser ist.“

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Lieblingslocation: „Die Köpi ist für mich der entspannteste Club. Meine Lieblingskneipe ist das Trauma, hier bei mir in der Baume.“

Lieblingsband: „Aus Berlin? Ach du Scheiße! Muss es EINE Band sein? Na gut, diese Band muss ich nennen, weil ich sie schon 40 Mal live gesehen habe: Necromorph. Die ziehen ihren Schuh durch, veröffentlichen zwar nicht so viel, aber treten dafür alle Monate mal auf. Um noch eine Band zu nennen, die schon lange durchhält: Fatal Embrace. Sie spielen Oldschool-Thrash-Metal mit Seele.“

Eine andere Band möchte ich auch noch nennen: Autoritär, sie gehen in Richtung Punk / Crust.

Ticket_Kreator Tankard Coroner Sabbath_Werner-Seelenbinder-Halle 1990

Kreator 1990 | ©privat

Lieblingsfanzines: „Das Eternity-Magazin ist immer interessant. Heutzutage sind die natürlich viel schicker als früher. G.U.C. Zine und Into the Warzone gab’s auch noch. Beides war Querbeet, Black, Death, Thrash, aber eher Bands aus dem Underground.“

Lieblingskonzert:Kreator mit Tankard, Coroner und Sabbath in der Werner-Seelenbinder-Halle im März 1990. Das war schon ein historisches Ding.“

Danke an Hanschi für das Interview und die ganzen Tickets!

Alle Fotos und Ticketscans: ©privat

2 Gedanken zu “Hanschi – Last Shows Before Doomsday

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